Die Kurs-Pille

 

Ein Jahr ist es jetzt her, dass Brustkrebs bei mir diagnostiziert wurde. Ich schrieb hier auf meiner Webseite auch damals darüber (siehe die Beiträge vom 02./14./15. und 23.12.2018) Daher wurde ich nun mehrfach gefragt, wie es weiter gegangen ist und wie es mir inzwischen geht. Und da gibt es auch einiges zu berichten.

Vorab: mir geht es bestens.

Und nun der Reihe nach ab meinem letzten Beitrag dazu.

Da schließlich auch in meinem Knochengerüst noch keine Metastasen festgestellt wurden und ein Spezialtest des entnommenen Tumors ergab, dass er im Anfangsstadium und von einer Art sei, die nichts ganz so aggressiv ist, war klar, dass ich keine Chemotherapie brauchen würde. Es folgte also nach der OP eine sechswöchige Strahlentherapie. Von montags bis freitags täglich eine Dosis. Ich hatte null Angst davor und kannte das ganze Prozedere schon von meiner ersten Krebserkrankung. Diese Therapie führte bei mir zu keinerlei Nebenwirkungen. Ich ging währenddessen voll und fröhlich arbeiten und machte Sport. Ich lebte hauptsächlich ganz normal meinen Alltag und ging sozusagen nebenher zur Strahlentherapie. Lange musste ich noch Tag und Nacht einen Spezial-BH tragen, der mich wie ein Korsett einschnürte. Ich gewöhnte mich daran. Die Bemalungen auf meiner Haut für die Bestrahlungen gehörten auch einfach dazu und der Waschlappen statt die Dusche. Und die täglichen Dehnübungen der Arme und des Brustkorbes, damit meine Narbe geschmeidig werden würde.

Auch meine Partnerschaft beeinträchtigte es überhaupt nicht negativ, was anfangs kurz meine Sorge gewesen war. Doch Tom ist auch Kursschüler und wir sprachen über alles sehr offen und jeder machte seine innere Kurs-Arbeit. Wir haben wie immer viel unternommen und gelacht in dieser Zeit. Wir wunderten uns, wenn jemand zu uns sagte, ihr habt aber gerade eine schwere Zeit mit der Diagnose. Da sahen wir uns erstaunt an und schüttelten den Kopf. Nur die ersten Tage mit der Diagnose waren hart gewesen, da mussten wir durch extreme Ängste und Schuldgefühle hindurchgehen. Doch von da an wurde ich von so einer tiefen Ruhe erfasst und getragen, dass ich es manchmal selbst nicht glauben konnte. Und dass, obwohl ich noch mehrere Wochen nicht wusste, in welchen Krebsstadium ich mich befand.

Die meisten Ärzte wollten mich für die Bestrahlungszeit gleich krank schreiben und hielten verwirrt inne, als ich es ablehnte. Denn Krebs und seine Therapien werden in der Regel mit großem körperlichen und psychischen Leiden assoziiert und meistens ist es auch so. Mir ging es aber total gut und es war für mich völlig klar, dass ich erst eine Krankschreibung in Anspruch nehmen würde, wenn es mir schlecht gehen sollte.
Auch meine Kollegen waren erst irritiert, dass ich da war. Doch als sie sahen, wie gut es mir ging, körperlich und psychisch, da verstanden sie es. Und es ergaben sich mit dem einen oder anderen offene und tiefe Gespräche zu dem Thema.

An die Strahlentherapie schloss sich eine Anti-Hormon-Therapie an, da mein Brustkrebs hormonabhängig ist. Bestimmte weibliche Hormone müssen mit Tabletten, die täglich fünf Jahre lang einzunehmen sind, unterdrückt werden, um einen Rückfall zu verhindern. Nach diesen fünf Jahren ohne Rückfall hätte ich dann wieder das gleiche Risiko wie alle Frauen, an Brustkrebs zu erkranken.

Hatte ich die Strahlentherapie so locker hinter mich gebracht, wurde jedoch die Einnahme dieser Tabletten plötzlich zu einem Problem für mich. Denn ich bin gar kein Freund von Tabletten. Ich finde es lästig, immer daran zu denken und unangenehm mir diese Substanzen zuzuführen. Dann las ich auch noch von den möglichen gruseligen Nebenwirkungen und mir wurde ganz anders. Dabei hat die Strahlentherapie auch mögliche massive Nebenwirkungen und Spätfolgen! Ich beobachtete, wie ich da einen Unterschied machte. Aha – interessant! Ich setzte also da an, wo ich innerlich stand. Je länger ich nun einfach all meine Angstgedanken und Abwehrgefühle dazu nur beobachtete, umso mehr schwanden sie.

Inzwischen nehme ich tägliche diese Tablette ohne einen weiteren Gedanken, Widerstand oder Angst und bisher ohne Nebenwirkungen und es hat sich von ganz allein eine Erinnerungshilfe für die Einnahme ergeben. Zudem kam es dazu, dass ich noch weitere Tabletten wegen eines aufgetretenen Eisenmangels einnehmen muss und da bin ich nun täglich mit drei verschiedenen Tabletten am Hantieren. Mir dämmerte, dass genau das meine Lektion ist: in Frieden zu sein, obwohl ich Tabletten nehme… und auch noch so viele. Mein Ego mag das gar nicht. Für mich ist tatsächlich die größere Herausforderung und meine Friedensübung, die Anti-Hormon-Tabletten fünf Jahre lang zu nehmen, als sie wegzulassen. Obwohl Weglassen auch noch nicht ganz angstfrei wäre, das spüre ich deutlich in mir. Somit ist es eigentlich egal, was ich tue, denn so oder so muss ich mir meine Angst aus meiner Körperidentifikation anschauen. Das ist meine Kursarbeit, dass ist mein Weg zum Erwachen aus dem Welten- und Körpertraum.

Eigentlich muss ich immer nur die eine Pille schlucken: die Kurs-Friedens-Pille!
Und die steckt in allen Pillen, in allen Situationen, in allen Begegnungen.

Und in allen Wiederholungen. Denn ich dachte immer, Krebs brauche ich nicht mehr als eine Erfahrung in meinem Leben, die habe ich schon bei meiner ersten Krebserkrankung vor nun 28 Jahren abgehakt. Auch damals bin ich daraus mit einer sehr positiven inneren Entwicklung hervorgegangen. Doch die tiefe Ruhe, die mir diesmal mit dem Kurs beim zweiten Krebs möglich war, die toppte alles.

Diese sehr tiefe Ruhe ist mir nach der Beendigung der Strahlentherapie wieder verloren gegangen, sie ist weniger beständig und nicht von solchem Ausmaß wie damals, doch wenn ich an sie denke, fühlt es sich wie nach Hause kommen an. Damals war mir, als werde diese tiefe Ruhe mir fast ohne mein Zutun erhalten, ich musste mich nicht darum bemühen. Ich glaube inzwischen, dass ich angesichts diese Ausnahmesituation damals innerlich extrem bereit und offen war. Nun bin ich dabei, in meinem Alltagsleben ohne Krebs daran anzuschließen. Ich sage mir, wenn dir das damals mit Krebs möglich war, dann doch erst recht jetzt mit all den aus Egosicht geringeren Themen, die auch oft noch herausfordernd genug sind. Und ich merke, was für einen Schub, was für eine Kraft mir diese Erfahrung gegeben hat. Ich bin sehr dankbar dafür.

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