Muss ich meinen Eltern vergeben, dass sie damals… , damit ich jetzt mich nicht mehr ihnen und anderen Menschen ausgeliefert fühle? Muss ich meinem Ex-Partner vergeben, weil er… , damit ich in einer neuen Paarbeziehung nicht nochmal die gleichen Erfahrungen mache? Muss ich auf dem Kursweg tatsächlich meine Kindheit und erwachsene Vergangenheit aufarbeiten, um erwachen zu können? Muss ich wie in der Psychotherapie vergangene menschlichen Erlebnisse anschauen und meine scheinbar daraus resultierenden und ewig sich wiederholenden Muster und Prägungen ausfindig machen, um gegenwärtig mich zur Liebe zu befreien? Nein und Ja.
Aber langsam. Es ist schon ziemlicher Tobak, zunächst einmal mit dem Kurs überhaupt zu verstehen, anzunehmen und gar auch umzusetzen, dass nie jemand anderes für unser inneres Leiden je verantwortlich war und ist. Es war und ist stets unsere eigene Entscheidung, ob wir mit Angst und Leid oder mit Liebe und ungestörtem Frieden reagieren… was auch immer ein anderer tut. Sogar als Kind, denn wir können sehen, wie unterschiedlich auch Kinder mit ähnlichen Situationen umgehen und wie sie sich daraus weiterentwickeln.
Wir sehen also, es geht nicht darum, jemand anderem zu vergeben, einfach, weil er nicht schuld ist an unseren Gefühlen und Reaktionen. Das soll keinesfalls entschuldigen, was uns als Kind oder Erwachsener durch andere widerfahren ist oder dass wir es lapidar damit abtun, wir hätten damals einfach innerlich anders reagieren können, so nach dem Motto “selber schuld”. Darum geht es nicht.
Es geht darum, uns selbst zu vergeben, dass wir aus dem Ego reagierten. Und vergeben bedeutet, jetzt vom Ego zum Heiligen Geist zu wechseln, also unser Denken zu berichtigen. Und das bedeutet, uns jetzt alle Macht über unseren Geist zurück zu geben. Das ist eine riesige Befreiung aus der scheinbaren Abhängigkeit. Und das ist schon genug Stoff und eine völlig neue Sichtweise, die erstmal verarbeitet und angewendet werden muss: Dass ich nicht durch einen Missbrauch in meiner Kindheit, ein Mangelerleben in meiner Jugend, eine Beziehungskrise vor 10 Jahren und andere menschliche Katastrophen geprägt oder gar traumatisiert bin, sondern dass ich litt und leide, weil ich mich dafür entschied, daran zu leiden, wenn auch sehr unbewusst.
Und dass ich mich nun durch einen Wechsel in meinem Geist zur Liebe und zum Frieden meines heilen Geistes davon frei machen kann. Dass ich wirklich trotz all der Erlebnisse in Liebe sein kann mit allem und jeden. Ganz einfach, weil es auch damals nur meine Entscheidung im Geist war und ich jetzt noch immer daran festhalte. Ich entscheide also, wie ich auf diese Erfahrungen jetzt reagiere, mit dem Ego oder dem Heiligen Geist? Mit Angst oder Liebe? Mit dem Glauben an die Wahrheit der Welt oder die Wahrheit Gottes?
Also klar sollte ich vergangene und gegenwärtige Erlebnisse und wie ich ihnen in meinem Geist begegne, ihnen Macht über mich gebe oder nicht, nutzen, um meine Kursarbeit zu machen. Wir nehmen ja immer das, was uns vor der Nase ist und uns durch den Geist geistert oder unsere menschliche Geschichte zu sein scheint. Wir beginnen da, wo wir zu sein scheinen und was uns hier begegnet. Das ist sehr hilfreich und so arbeite ich auch sehr viel in mir.
In meiner Erfahrung muss ich dabei aber nicht in der Kindheit und Vergangenheit wühlen. Wenn ich tagtäglich meine Kurspraxis mit den Gedanken und Gefühlen mache, die einfach da sind, ploppt alles von allein auf und jede Schicht, die die Liebe blockiert, zeigt sich nach und nach. Und dann ist es immer nur das Eine und dasselbe in allem: Reagiere ich jetzt auf die Erinnerung oder das, was ich jetzt gerade erlebe, mit dem Ego oder dem Heiligen Geist? Das enthält in jedem Moment den kompletten Traum und das komplette Erwachen aus ihm.
Für mich geht es aber immer mehr noch fortführend darum, dass sogar nicht einmal meine Ego-Reaktionen auf die weltlichen Ereignisse mich dazu brachten, mich zum Beispiel missbraucht oder wertlos zu fühlen. Sondern dass der Ursprung jenseits der Welt liegt – in meinem Träumer-Geist, der meinte, sich von Gott zu trennen und dies symbolisch in die Formen einer Traum-Welt goss. Und nun spiegelt alles Weltliche nur diese meine Geschichte mit Gott wider.
So sähe also die Trennung aus: nicht mehr untrennbarer Geist, sondern veränderliche Formen über Formen und nun ich als eine Form (Traumfigur) darin verloren und allem gegenüber und allem ausgesetzt. Und wie ich mich von meinen Eltern missachtet fühle, so steht dahinter, dass ich mich eigentlich von Gott missachtet fühle, der mir nicht wohlgesonnen zu sein scheint. Wie ich mich von meinem Partner verlassen fühle, so fühle ich mich eigentlich von Gott getrennt. Wie ich mich als mangelhaft empfinde, so glaube ich, schuldet mir Gott alle Fürsorge.
Und dabei ist der einzige Mangel Gott, von dem ich mich selbst abwandte. Doch er ist immer da, weil er ist, was ich wahrhaft bin. Wende ich mich ihm wieder zu, ist alles Leid vorüber und schließlich auch die ganze Traumwelt.
Ich muss also einzig immer wieder den heilen Geist in mir wählen, wenn ich jetzt spüre, dass ich im Ego bin. Weil es nur darum geht, zu Gott zurückzukehren und dafür muss ich nicht alle meine vermeintlichen Prägungen der weltlichen Vergangenheit ausfindig machen und beheben, denn dort wurde ich nicht wirklich geprägt. Ich muss an die wirkliche Ursache und Prägung heran. Ich habe mich sozusagen vorweltlich im Geist entschieden, Ego und Körper zu sein. DAS ist meine selbst zugefügte und einzige Prägung. Und nur diese muss aufgehoben werden, indem ihr aller Glaube entzogen wird.
Mir wird so klar: Wenn ich, als der EINE fehlgeleitete Geist, der Träumer des Ganzen bin (und ich nicht die Körper-Katja bin, die ist ja auch nur eine Traumfigur in diesem meinem Geist), muss ich eben mir keine Gedanken darüber machen, was meine Traumfigur mit anderen Traumfiguren erlebt hat und dass sie deshalb sich heute noch so fühlt. Sondern ich begreife, ICH als Geist träume sie alle und auch alle Szenen jederzeit. Ich bin der Verursacher für alles und verliere mich darin.
Dieser Traum kommt aus meinem mit dem Ego identifizierten Geist. Also strebe ich den Wechsel zu meinem heilen Geist an und hebe die Egowirkung von Mangel-, Leid-, Angst- und Missbrauchsgefühlen in mir auf, die aus dem Trennungsglauben stammen und nicht erst durch Eltern oder andere Traumfiguren und -situationen und meine Reaktionen darauf entstanden. Im Traum wurden sie nur schuldzuweisend wiederholt, um mich in der Welt zu verankern und an sie zu fesseln und den eigentlichen Ursprung zu verschleiern.
Ich bin also noch nicht an der wirklichen Ursache für mein Leid, wenn ich meine, es sei durch weltliche Situationen oder durch meine Reaktionen auf diese weltlichen Situationen verursacht worden. Ich muss vielmehr den grundsätzlichen Glauben an Leiden und Trennung in meinem Geist aufheben und allmählich auch meinen ganzen Traum.
Warum sollte ich also jetzt in einzelnen Szenen des Weltentraumes irgendeinen Ursprung, eine Ursache, eine Prägung suchen? Daher das Nein oben.
Und das Ja bezieht sich darauf, dass wir natürlich in der Regel im Weltlichen anfangen, weil wir uns dort erleben. Wir nutzen es, um zu sehen, aus welcher Geisteshaltung wir darauf reagieren. Das ist der Kursweg: wir nehmen die Illusion und tragen sie zur Wahrheit. So erkennen wir, dass die Illusion nichts ist und nichts verursachte.
Es geht natürlich auch nicht darum angesichts vergangener und gegenwärtiger Erlebnisse nur oberflächlich und zu schnell abzuwinken, dass das ja alles nur eine Illusion sei. Das deckt nur zu, wie sehr wir eigentlich noch daran glauben und daran festhalten, dass es uns doch schmerzt. Aber zu sehr die Metaphysik des Kurses (die vermeintliche Trennung von Gott und dass die Welt dies nur als ein Traum widerspiegelt) aus den Augen zu verlieren und ständig nur weltliche Prägungen zu suchen und zu meinen, sie alle nach und nach aufarbeiten zu müssen, hält uns ebenfalls in der Welt fest und macht sie wahr. Und vor allem finden wir dabei kein Ende und es bringt uns nicht an den wirklichen Ursprung.
Es ist tatsächlich eine Gratwanderung, wann ich einerseits zu sehr doch weiter ins Ego investiere und die weltlichen Zusammenhänge zu wahr, zu sehr als Ursprung ansehe oder sie andererseits nur als Sprungbrett in den Geist nutze.
Und wo ich einerseits zu schnell in der Abstraktion und Metaphysik bin und damit mir eben nicht ehrlich meine Investition in die Welt und das Ego anschaue oder aber andererseits meine Identifikation sich durch die Einbeziehung der Metaphysik wahrhaft und wirklich verschiebt.
Ich erlebe es in meiner Kurspraxis so, dass ich angesichts dieser Pole immer sehr selbstehrlich sein und mich da abholen muss, wo ich jetzt gerade stehe. Bei mir ist das ein sehr flexibler Vorgang. Mal spüre ich, komme ich über den einen Weg, mal über einen anderen Weg (also über verschiedene Formen) besser an meinen Geisteswandel heran, der aber immer derselbe bleibt.
Wenn ich gerade sehr tief im Ego verstrickt bin, dann hilft mir die pure Träumer-Sicht (mich von Gott getrennt zu haben und eine Welt zu träumen) in der Regel nicht wirklich. Dann gehe ich nur in die beobachtende Haltung des Frieden Einladens zu den ganz konkreten Situationen der scheinbaren weltlichen Vergangenheit und Gegenwart und lasse alle Egoschichten dazu hochkommen und vergehen.
Dann mal wieder braucht es nur eine Erinnerung an einen Kurs-Satz oder ein längeres Beschäftigen mit dem Kurs oder nur ein inneres Bild oder nur stilles absichtsloses Beobachten kurz oder über einen längeren Zeitraum oder ein Gespräch mit jemanden oder oder oder.
Dennoch steht am Ende für mich inzwischen immer die Träumer-Sicht. Und zunehmend öfter steht sie auch schon gleich am Anfang, wenn ich dabei wirklich ehrlich spüre, dass ich damit gerade nicht zudecke. Ich habe zunehmend das Gefühl und die Erfahrung für mich ganz persönlich, dass ich mich sonst nicht ganz abgelöst, es nicht bis ganz zu Ende gebracht habe. Denn an meine eigentliche Prägung muss ich heran, die ich mir selbst zufügte, ohne dass sie je wirklich geschehen ist: dass ich glaube, mich von Gott trennen zu können. Und erst dann kann ich erkennen, dass meine wahre Prägung unveränderlich Gott ist.
Vielen Dank, liebe Inge und Annette für unseren wunderbaren Austausch zu diesem Thema, der mich zu diesem Text inspirierte.
Ein wunderbarer Artikel, liebe Katja! Alles bestens erklärt und zusammengefasst. Sehr einleuchtend für mich auch der Gedanke: “In jeder Erinnerung steckt bereits der gesamte Traum”…..
🙂
Danke lieber Tom, das freut mich, dass es für dich gut nachvollziehbar ist. Und möge für uns über das Einleuchtendsein Erleuchtung erwachsen (zwinker).
Wow liebe Katja, wie wunderbar geführt bin ich durch diesen klaren, tief empfundenen Text gekommen!
Da geh ich mit, soso gerne!
‘Meine eigentliche Prägung ist unveränderlich Gott’.
Danke für dein kraftvoll liebendes Erinnern.
Fühl dich umarmt, liebe Grüsse, Doris ❤
Liebe Doris, sehr schön, dass du so gut mitgehen kannst. So richten wir uns gemeinsam immer wieder aus. Eine liebe Umarmung auch an dich.
Liebe Katja,
wie Tom schon schrieb, ist es auch in meinen Augen ein wunderbarer Artikel . Vieles, was in meinem Kommentar zu deinem letzten Artikel stand, wird hier nochmals von dir verdeutlicht.
Als Essenz diese Artikels bleibt mir vordergründig ein Teil in Erinnerung:
“Ich entscheide also, wie ich auf diese Erfahrungen jetzt reagiere, mit dem Ego oder dem Heiligen Geist? ”
Deine Betonung lag auf dem Wort “jetzt”; und das ist es, was mich von allem bisherigen Denken und demnach Handeln unterscheidet. Nicht mehr meine Erfahrungen in Bezug auf ein Thema, Person, Situation…. (ich kenne mich ja schließlich Zeit meines Lebens in Richtig oder Falsch aus), sind maßgebend, sondern allein mein Zustand, meine Geisteshaltung JETZT (vielleicht nach dem dauernden Drücken meiner “RESET-Taste”. Ich kann meine Vergangenheit im Kopf nicht unbedingt auslöschen, ABER ich kann die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und ähnlich wir ein Neugeborenes, das keine Vergangenheit kennt und deshalb auch nicht verurteilen kann, die Situation JETZT sehen und in diesem Bewusstsein handeln.
Kann mich noch gut erinnern, dass es im Kurs in etwa hieß: Wenn du nicht sehen kannst, was JETZT ist, kann man wahrlich sagen, das du nichts sehen kannst. Die Wahl besteht nicht darin, Vergangenheit oder Zukunft zu sehen, sondern zu sehen, oder nicht zu sehen.
Danke.
Lieber Ulrich, vielen Dank für deine Ausführungen, jetzt verstehe ich dich. Ja, nur , welche Geisteshaltung ich jetzt einnehme, ist entscheidend – nichts sonst. Es geht nicht um Personen, Situationen, weltlich Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges. Wie befreiend das doch ist! Liebe Grüße an dich