Auf dem Weg zur Arbeit begleiteten mich heute heftige Windböen. Ich ging auf eine Stelle zu, an der ein Fahrrad auf dem Bürgersteig lag. Gleichzeitig war Platz genug, daran vorbeizugehen und dazu schickte ich mich an.
Da taucht ein Gedanke auf, das Fahrrad aufheben und hinstellen zu können, dem sofort eine Bewertung folgte: “Hmmm, ja, das wäre nett und hilfsbereit und es nichts zu tun, wäre achtlos.” Jeder hätte mich wohl für einen aufmerksamen und guten Menschen gehalten, wenn ich ein fremdes Fahrrad wieder ordentlich hinstellen würde. Ich spürte jedoch deutlich, gerade war es ein Nutzen-Abwägen, bei dem es um ein mit Stolz erfülltes, genugtuerisches Gut-Sein-Wollen ging. Wer beurteilte da also die reinen Fakten? Mein Ego. Aha! Oh ja, es spricht und bewertet eine Situation immer zuerst. Also in mir abwarten …
Und nun war ich auf der Höhe des Fahrrades angekommen und blickte im Vorbeigehen noch genauer hin. Dabei erfasste mich mit einem Mal ein Überblick über die Gesamtsituation – ganz still, sachlich und klar.
Das Vorderrad war mit einem Schloss an einem Gestänge gesichert, das Fahrrad hatte keinen Fahrradständer und der Wind sauste um die Ecke. Würde ich das Fahrrad aufstellen und wieder an das Gestänge lehnen, würde es der Wind in Kürze wieder umwerfen. Ich begriff, dass in dieser Situation das Schadenbegrenzenste und Liebevollste war, das Fahrrad liegen zu lassen.
Selbst wenn der Fahrradbesitzer später davor stehen und sich über nur eine Schramme ärgern oder enttäuscht sein sollte, dass niemand das Fahrrad aufhob, weil er von den Windböen nichts mitbekommmen oder sie nicht einberechnet hatte.
Es kann sein, dass eine liebevolle Tat von anderen nicht immer oder sofort erkannt wird und dennoch gegeben wurde. Da Liebe nicht verloren gehen kann, erreicht sie jeden irgendwann. Wann und auf welche Weise unterliegt nicht meiner Macht und Auswahl. Meine innere Weichheit ohne Wunsch, dass irgendjemand begreifen muss, warum ich das Fahrrad liegen ließ, war für mich das Zeichen, dass ich nun mit dem Heiligen Geist und somit mit allen verbunden war.
Ich staunte sehr: Was in der Form nach Achtlosigkeit aussieht, kann inhaltlich das Liebevollste sein.