Ich saß in der Straßenbahn und neben mir jenseites des Ganges drei Jugendliche. An einer Haltestelle stiegen weitere vier Jugendliche ein und gesellten sich mit den typischen Begrüßungsgesten und Sprüchen zu ihnen. Sie wollten auch von der Süßigkeitengroßpackung etwas abhaben und es wurde geteilt. Dabei landetet schließlich die leere Großpackung bei einem, der sie dem nächsten auf den Schoß warf. Dieser schleuderte sie auf den Boden, wo sie sie beide liegen ließen. Die zwei grinsten sich an.
In mir startete nun ein Prozess, den ich zunächst nur beobachtete. Natürlich war schon Beurteilung da gewesen, als die Gruppen sich begrüßten: “Was halten sie sich doch für cool beim Machosprüche klopfen und Fäuste zur Begrüßung aneinanderstoßen. Es ist so affig.” Nach der Aktion mit dem Müll und dies auch noch toll zu finden, grummelte es jetzt so richtig in mir. Ich fand sie rücksichtslos, unmöglich und schlecht erzogen. Das durfte doch von uns anderen Mitfahrern nicht unkommentiert bleiben! Doch niemand in der vollen Bahn rührte sich diesbezüglich.
Ich betrachtete, was mein Ego am liebsten sagen würde. Zunächst ganz grob und provozierend zu dem, der die Packung auf den Boden pfefferte: “Findest du das toll?” Dann angeblich feinfühliger, an Einsicht appellierend: “Was würdest du davon halten, wenn andere dein Zimmer zumüllen?” Doch in beiden Fällen, als ich diese in meiner Vorstellung beobachtete und meine Haltung dabei wahrnahm, war mir sofort klar: Er würde sich nur angegriffen und vor seinen Kumpels vorgeführt fühlen. Er würde wahrscheinlich eher zurück provozieren mit “Was geht dich das an” oder “Klar finde ich das toll” oder “Stört mich nicht.” Vielleicht würde er aber auch den Müll aufheben und sich sehr kleinlaut fühlen. Auch bei dieser Variante käme es wohl nicht wirklich zu Eigenverantwortlichkeit.
Ich nahm also Abstand von diesen Egovarianten, aber es grummelte weiter. Was sage ich bloß? Ja, klar könnte ich gar nichts sagen, denn auf der ganz abtrakten Ebene von Ein Kurs in Wundern ist alles nur ein Traum und ich kann und werde damit im Geist jenseits davon in Frieden sein, mit diesen Jugendlichen und dass dieser Müll im Traum auf dem Boden liegt. Ich machte mir diese Variante auch sehr bewusst.
Dadurch kamen plötzlich Wahrnehmungen zu mir, die mich vorher nicht erreicht hatten. Ich erlebte mal wieder, wie unterschiedlich die gleiche Situation gesehen und erfahren werden kann, wenn ich mich dafür öffne. Denn unter ihren coolen Sprüchen spürte ich nun Herzlichkeit, Zugewandtheit und Zusammengehörigkeit. Ich sah, wie der mit der Süßigkeitenpackung sofort großzügig mit allen geteilt hatte. Ich registrierte, wie zwei dem, der den Müll auf den Boden geworfen hatte, immer mal mit einem liebevollen Lächeln durch die Haare wuschelten. Er war offensichtlich der Kleinste und Jüngste unter ihnen. Sie mochten ihn, aber vielleicht wollte er “erwachsener” dazugehören. Diese Müllaktion war von ihm sicherlich nicht geplant gewesen, sondern spontan und nicht böswillig geschehen. Aufheben wäre aus seiner Sicht jetzt aber uncool gewesen. Jetzt kam mir auch plötzlich in Erinnerung, dass der Werfer und der, der den Müll ihm in den Schoß geschmissen hatte, nach der Bodenlandung ganz kurz schuldbewusst umhergeschaut hatten, ob irgendein Mitfahrer reagierte. “Aha, sie haben also durchaus das Bewusstsein, dass es nicht angebracht ist, so etwas zu tun,” schoß mir ein, “das muss ihnen also gar nicht bewusst gemacht werden.”
Mmmmmmhhh, und jetzt? Grübelnd fand ich einfach keine mir passend erscheinende Formulierung, um sie dazu zu bewegen, den Müll wieder aufzuheben. Ich wollte also etwas bei ihnen erreichen. Pures Ego – wenn gegrübelt wird und dazu noch darüber, wie man sich verhalten soll, sowieso. Ich betrachtete es. “Ja, aber das kann man doch wirklich nicht durchgehen lassen”, schrie es erneut in mir. Ich war eindeutig nicht in Frieden. Also ließ ich die ganze Situation erstmal wieder los. Im Frieden des Heiligen Geistes möchte ich sein, ganz gleich, was ist. Wie auch immer das gehen möge, ich lasse es in mir geschehen. Alles weitere wird daraus entstehen.
So, und dann kam mir die Idee, die ich auch gleich darauf ausführte, weil sie sich vollkommen friedlich und ohne Vorwurf anfühlte. Als die zugestiegenen Jugendlichen sich bereit machten, an der nächsten Haltestelle auszusteigen und sich zu verabschieden begannen, hob ich die Packung selbst auf. Ganz beiläufig und aus einer totalen Ruhe und Urteilsfreiheit fragte ich einen von ihnen, der gerade an mir vorbeikam: “Würdest du das bitte draußen in den Mülleimer werfen, wenn ihr gleich aussteigt?” Sichtlich irritiert nahm er sie und warf sie dem in den Schoß, der sitzen blieb und der Süßigkeitenausteiler gewesen war. Dieser legte sie ebenso irritiert zwischen sich und seinem Nachbarn auf den Sitz. Alle hatten diese Aktion ohne Aufhebens still mitbekommen. Ein paar Stationen später stiegen auch die drei Jugendlichen aus und nun hatte der Sitznachbar die Packung in der Hand und warf sie draußen in einen Mülleimer.
Was wirklich bei den einzelnen innerlich geschehen ist, weiß ich nicht. Aber was in mir geschehen ist, weiß ich. Ich habe meinen Frieden mit ihnen gefunden, sie zu verstehen versucht und sie nicht rücksichtslos behandelt. So besteht viel eher die Chance, dass sie sich künftig auch dafür entscheiden, selbst wenn sie nun nach meiner Aktion den Müll nicht in den Mülleimer geworfen hätten. Es ist ihre Wahl, wie es meine ist. Wir alle sind aus dem Ego rücksichtlos, jeder auf seine Weise – und wir alle steigen daraus irgendwann aus. Wir sind gleich und auf dem Weg.
Eine absolut berührende Geschichte. Ich wünsche mir auch sooooo bewußt zu handeln ab und zu geht mir noch das Ego durch 🙂
Herzensgrüsse
Brunhilde Presslmayr
Liebe Brunhilde, auch mir geht das Ego oft genug durch. Wenn uns dann bewusst wird, dass und auf welche Art es wieder mit uns durchgegangen ist, ist das wiederum der Ausgangspunkt für mehr Bewusstheit. Ist doch super – wir können stets alles nutzen. Auch wenn es sich zunächst furchtbar anfühlt. Erfahrungen wie in dieser Geschichte zeigen uns, wie sehr es sich lohnt. Wir sind auf dem Weg und dieser wird uns dann gar weit über alle Geschichten hinausführen. Es braucht “nur” unsere Bereitschaft und liebevolle Geduld mit uns selbst. So wenig für so viel – für ALLES. Das berührt mich immer wieder sehr. Hey, wir schaffen das! Denn in Wirklichkeit ist nichts geschehen und das werden wir eines Tages wieder voll annehmen. Der Ausgang ist gewiss. Herzlich, Katja
Ja liebe Katja,
es ist ganz einfach, das ist mein tiefes inneres Wissen,
die kleine Bereitschaft ist da, Geduld ist angesagt, der Ausgang ist gewiss,
Danke Dir, Brunhilde
Diese Geschichte ist großartig, ich möchte mich immer wieder an sie erinnern, wenn mal wieder so eine Ego-Situation vor mir liegt und mir soviel Atem gönnen bis ich gespürt habe was darin alles zu finden ist.- Klingt eher wie ein frommer Wunsch, da ich mich selber anders kenne.- Doch ich werde die Hoffnung nicht aufgeben und Deinen Satz, Katja, “Hey wir schaffen das” in mir tragen! Danke Dir sehr! Von Herzen liebe Grüße Brigitte Hermanns 🙂
Ja, liebe Brigitte,
wir schaffen das alle, mit Mut, Liebe und “Spuke”.
Und auch nach einer Situation, in der wir wieder rasend schnell mit dem Ego reagierten, können wir uns im Rückblick darauf mit dem Heiligen Geist verbinden und immer noch erstaunlich Erfahrungen damit machen. Denn die Heilung im Geist ist keinen Gesetzmäßigkeiten der Zeit ausgeliefert. Wir können gar nichts wirklich falsch machen, weil es letztlich nur den Weg zurück zur Erinnerung an Gott gibt. Wir sind nicht allein. Wir gehen ihn alle gemeinsam und mit Gottes Sicherheit.
Vielen Dank für deine Worte und Ehrlichkeit, in denen ich mich wiederfinde, herzlich, Katja